Tattoofarben Verbot

Was genau wird nun 2022 auf die Tattoobranche zukommen?
In diesem Artikel findest du sachlich die tatsächlichen Fakten rund zum Verbot.

von Antonio Barbaro
27.09.2021

Das kommende Verbot diverser Stoffe in Tattoofarben hat besonders in den letzten Wochen hohe Wellen geschlagen. Wir alle lieben Tattoos weshalb es auch nicht verwunderlich ist, dass bei so einem emotionalen Thema die Sachlichkeit schnell verloren geht.

So machten sogar Gerüchte von einem generellen Tattooverbot ab 2022 die Runde und werden trotz der Richtigstellung von den Initiatoren der savethepigments-Petition weiter verbreitet. An dieser Stelle direkt der Hinweis dass Tätowieren auch 2022 weiterhin erlaubt sein wird.

Doch was genau wird nun auf die Tattoobranche zukommen? Im
Folgenden Artikel bringe ich sachlich dargestellt etwas Licht ins Dunkle und
habe die tatsächlichen Fakten aus den wichtigsten Quellen für euch zusammengefasst:

1. Wird tätowieren ab 2022 in der EU verboten?

Kurz und knapp beantwortet: NEIN! Auch in 2022 werden wir weiter ganz offiziell tätowieren dürfen. Doch bevor ich auf das Thema was genau Verboten wird eingehe, möchte ich vorab einen Konsens schaffen um aufzuzeigen wie es zu dieser Situation überhaupt kommen konnte.

  1. Was ist die REACH überhaupt und wozu ist sie gut?!

REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of CHemicals. Es ist eine Verordnung welche seitens der EU Kommission beschlossen wurde. Grundsätzlich ist die REACH keine schlechte Sache, da es dabei um den Schutz von Gesundheit und Wohlbefinden eines jeden EU Bürgers geht. Dabei umfasst die REACH alle Bereiche, welche mit chemischen Mitteln zu tun haben, wie beispielsweise Kleidung, Möbel, Kosmetik, Reinigungsmittel und eben mit der neuesten Erweiterung auch die für uns wichtigen Tattoofarben.

Bisher waren die Regularien betreffend Tattoofarben auf Landesebene geregelt. In Deutschland beispielsweise waren sieben verschiedene Verordnungen gleichzeitig gültig. In anderen EU Ländern sahen die Regelungen wieder anders aus. Da dies für entsprechendes Chaos und Ungleichheit gesorgt hat, wurde der Wunsch nach einer zentralen Verordnung, geltend für alle EU Länder, laut und die Aufnahme von Tattoofarben in die REACH ist das Ergebnis.

Die Entwicklung der Verordnung hatte bereits 2008 begonnen und das Thema mit dem drohenden Verboten von diversen Stoffen ist somit alles andere als neu! Auch die Verordnung welche aktuell für viel Unmut in der Tattoo Szene sorgt wurde bereits am 4. Dezember 2020 beschlossen.

Das Ende der Farben oder nur eine Phase?
  1. Was ist die ECHA und was hat sie mit der REACH zu tun?

Innerhalb der EU wird die REACH durch die ECHA (European CHemical Agency) umgesetzt. Sie leitet entsprechende Maßnahmen ab, wie beispielsweise Verbote von bestimmten Stoffen oder die Festlegung von Grenzwerten, und setzt diese per Gesetz um.

Hersteller, welche Produkte auf den europäischen Markt bringen die chemische Bestandteile beinhalten, müssen sich bei der ECHA registrieren und genaue Angaben zu diesen Inhaltsstoffen bereitstellen. Die ECHA testet, bewertet und entscheidet, ob das jeweilige Produkt alle Vorgaben der REACH einhält. Ebenso testet das jeweilige Land in welchem der Hersteller sitzt. Somit wird die Bewertung zum einen von der ECHA, und zum anderen vom Herstellerland übernommen.

In Deutschland beispielsweise wurden seit 2008 über 3000 Hersteller mit über 12.000 Substanzen und 28.000 zugehörigen Registrierungsprozessen entsprechend der REACH bearbeitet.

Des Weiteren ist anzumerken, dass die ECHA nicht befugt ist, Studien über potentiell riskante Stoffe selbst durchzuführen. Die Studien werden von dritten Institutionen durchgeführt: dem Risk Assessment Committee (RAC) und Socio-Economic Analysis Committee (SEAC). Diese Komitees bestehen aus Mitgliedern diverser EU Staaten und werden für drei Jahre gewählt.

  1. Was genau wird jetzt Verboten?!

Insgesamt möchte die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) um die 4000 Inhaltsstoffe verbieten bzw. stark reglementieren, sodass eine Nutzung in Tattoo- sowie Permanent Make-Up Farben faktisch unmöglich wird. Hierbei sollen auch zwei sehr wichtige Pigmente (Blue 15 und Green 7) verboten werden, welche als Grundstoff vieler bunter Tattoofarben dienen. Es geht dabei aber eben nicht um ALLE Farben um an dieser Stelle direkt den absolutistischen Mythos „Alle Farben werden verboten“ aufzulösen.

Für uns Tätowierer gibt es aktuell zwei wichtige Deadlines:
04.01.2022 – ab diesem Datum sind diverse Inhaltsstoffe (wie beispielsweise viele Konservierungsstoffe) komplett verboten oder stark reglementiert.
Januar 2023 – ab diesem Datum sind die Pigmente Blue 15 und Green 7 verboten, welche Bestandteil vieler Tattoofarben sind.

Ferner sollen in Zukunft auch generell ALLE Konservierungsstoffe aus Tattoo Farben verschwinden. Viele Schwarztöne wie auch das von mir verwendete Stupid Black von Silverback Ink beinhalten solche Stoffe. Hierdurch hat sich der Mythos ergeben dass selbst schwarze Töne generell verboten werden sollen. Dass dies eben nicht der Fall ist zeigt sich bereits dadurch, dass es jetzt schon zwei Hersteller gibt, welche Reach konforme Farben produzieren.

  1. IamInk“ ein Hersteller aus Österreich welcher bereits seit ein paar Jahren schon am Markt ist und schwarze, sowie weiße Tattootinte komplett ohne Acyralte oder Konservierungsmittel produziert.
  2. Das deutsche Unternehmen Edding, welches auch die ersten Farbtöne Reachkonform produziert hat. Allerdings werden diese noch nicht durch das Unternehmen verkauft, wodurch sich der Mythos Edding stecke hinter dem ganzen um sich ein Marktmonopol zu schaffen erübrigen sollte.

Produktabbildung der IamInk Tinte
Quelle: IamInk (https://www.ftwiamink.com/)

Darüber hinaus hatte Dipl. Ing. Michael Dirks im Live Stream „Mythen und Bullshit über REACH“ auch öfter drauf hingewiesen, dass Farben (insbesondere schwarztöne) ohne Konservierungsmittel machbar sind (was der Hersteller IamInk bereits bewiesen hat) und es nur eine Frage der Zeit ist bis weitere Hersteller hinzukommen.

An dieser Stelle solltet Ihr euch vor Augen halten, dass einige Farben jetzt auch erstmals nur deshalb verboten werden weil sie eben die genannten Konservierungsstoffe enthalten. Durch die Übergangsfrist der Pigmente Blau und Grün bis 2023 könnte es also auch theoretisch möglich sein ALLE Farben in 2022 weiterhin zu verwenden. Dies ist letztlich von den Farbherstellern abhängig.

Es werden also immer nur bestimmte Stoffe in Farben verboten, aber eben NICHT das Tätowieren insgesamt!

Besonders von den großen Herstellern gibt es bisher leider nur sehr wenige REACH-konformen Farben. Nachdem jetzt jedoch feststeht, dass an der Verordnung an sich vorerst nichts mehr verändert wird und die Änderung bald in Kraft treten, stehen alle Hersteller entsprechend unter Druck. Insofern sie ab 2022 keine konformen Farben anbieten, bricht der Umsatz in der EU komplett ein, was massive Umsatzeinbußen zur Folge hätte. Somit ist der Handlungsdruck nun sehr groß und es ist zu erwarten, dass demnächst weitere Hersteller REACH konforme Farben herstellen und vertreiben werden.

Denn in der Wirtschaft reguliert ein freier Markt sich immer selbst. Heißt defacto manche Hersteller ziehen aus dem Markt evtl. ab, neue entstehen oder bestehende preschen vor. Es geht eben IMMER weiter – nur anders und anders ist halt immer blöd weil wir meist wollen dass sich nichts ändert.

5. Gilt die neue Verordnung auch in der Schweiz und/oder UK?

Nein! die aktuelle Verordnung gilt aktuell nur für Europa wozu die Schweiz und UK nicht dazugehören. Allerdings wird REACH auch für UK per UK REACH kommen. Die Schweiz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso zeitnah nachziehen. Dadurch wird zumindest vorerst in der Schweiz und UK auch nach dem 4.1.2022 wie gehabt weiter tätowiert.

6. Wenn so viele Stoffe verboten werden – sind dann die aktuellen Farben giftig?

Das eigentliche gesundheitsschädigende Problem ergibt sich eigentlich nur dann wenn Tattoos gelasert werden. Denn dann würden die Farbpigmente eben zerstört, in kleinere Nanopartikel aufgespalten und anschließend durch den Körper über das Lymphsystem abgebaut. Das Verbot und die festgesetzten Obergrenzen von Stoffen in der neuen REACH Verordnung im Bezug auf Tattoofarben basiert auf gemachten Studien. Allerdings haben diese lediglich eine MÖGLICHE gesundheitsschädigende Wirkung von diversen Stoffen ergeben, welche in Tattoofarben verwendet werden. Möglich heißt aber eben nicht tatsächliche Bewiesen, was das Paradoxe an der ganzen Geschichte ist und weshalb u.a. die Petition „Save the Pigments“ ins Leben gerufen wurde.

Die Studie bezieht sich auf „mehr als 1000 Fälle von chronisch allergischen Reaktionen und diversen anderen Hautreaktionen und ernsten Reaktionen durch Tattoos und Permanent make up jährlich“  (Tattoo Panel) –  und das bei Millionen von gestochenen Tattoos jedes Jahr. Die Beweislage erscheint mehr als hauch dünn, weshalb bereits angekündigt wurde, dass diverse rechtliche Schritte gegen die neue Verordnung eingeleitet werden sobald diese in Kraft tritt (mehr zum Thema sich selbst regulierende Märkte und juristischen Schritten sind innerhalb der Stellungnahme des BVT nachzulesen).

Frau mit farbigen Tattoos
Auch in Zukunft wird es bunte Tattoos geben

7. Was bringt die Save the Pigments Petition?

Ob die Verordnung langfristig in der aktuellen Form Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Geklagt werden kann erst wenn das Gesetz in Kraft tritt und solche Klagen dauern leider oft lange und entsprechend muss jetzt alternativ etwas getan werden – hierfür gibt es die savethepigments-Petition, welche als primäres Ziel eine Ausweitung der Übergangsfristen hat damit die Hersteller genug Zeit haben entsprechende Farben zu entwickeln.

Die Petition ist die aktuell letzte verbleibende Chance, etwas an der Verordnung und den Fristen zu ändern und zu zeigen, von welcher Wichtigkeit die Thematik für die Bürger der EU ist und welche Schwierigkeiten der aktuelle Stand der Verordnung mit sich bringt.

Die Petition ist wie folgt erreichbar:

  1. Klickt auf den Link des EU-Petitionsportals (klick)
  2. Meldet Euch im EU-Petitionsportal an
  3. Nr. 1072/2020 in der Suchleiste eingeben
  4. Auf Petition unterstützen Klicken
Petition Nr. 1072/2020, eingereicht von Erich Mähnert, österreichischer
Staatsangehörigkeit, zum Erhalt der beiden Pigmente Blue 15:3 &
Green 7 in der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH)
 
(Quelle https://www.safethepigments.com)

8. Was wird ab dem 5.1.2022 passieren?

Insofern nicht bis dahin schon weitere Hersteller ihre schwarz Töne von Konservierungsstoffen befreit haben wirst du mit dem schwarz & weiß von IamInk vollkommen normal legal weiter arbeiten dürfen.

Solltest du Tattoo Azubi sein kannst du auch auf Früchten oder FakeSkin (außerhalb des Studios) deine nicht reach konforme Farbe aufbrauchen. Im besten Fall steigst du aber frühzeitig auf die konformen Farben um.

Bis zum 5.1.2022 werden sicher auch diverse Farbhersteller ihre Kommunikation bezüglich Reach Konformer Farben abgeschlossen haben, sodass man weiß welche Farben man übergangsweise nutzen kann. Bei Eternal Ink weiß man bereits schon von einigen Farben im rot/orange Segment, dass sie Reach Konform sind (z.B. Light Magenta, Dusty Rose oder Hot Pink).

Was aber definitiv nicht passieren wird, ist das am 5.1. das Gesundheitsamt, welches die einzige Institution ist die Farben auf ihre Konformität prüft, dir die Tür einrennen wird und dir Strafen auferlegt. An dieser Stelle soll auch noch abschließend erwähnt werden, dass das Gerücht mit der 50.000€ Geld-, sowie möglicher Freiheitsstrafen die Höchststrafe des Reach Katalogs ist und lediglich als Beispiel im Rahmen des Live Streams genannt wurde. Die Strafe war aber NICHT auf den Einsatz von Nicht Reach konformer Tattoofarben bezogen.

UPDATE 18.10.2021

Mittlerweile haben diverse bekannten Farbenhersteller (wie z.B. Silverback Ink, World Famous, Eternal Ink) verkündet, dass sie bereits in der Entwicklung der wichtigsten Hauptfarben sind. World Famous ist sogar bereits soweit, dass sie noch im 4 Quartal 2020, also in den kommenden Monaten REACH konforme Farben auszuliefern. Die anderen Hersteller rechnen damit diese bereits Anfang 2022 für die gesamte EU gesetzeskonform auf den Markt auszuliefern.

Mein Fazit…

Die Thematik über das drohende Verbot und Begrenzung vieler Inhaltsstoffe ist nichts Neues. Tätowierer machten von Anbeginn mit der Petition SavethePigments, welche leider viel zu lange nicht ernst genommen wurde, auf das Thema Aufmerksam. Die Politik hatte es auch bisher (und vermutlich auch durch die ganze Pandemie Situation) versäumt mit einer Szene auf Augenhöhe in Kontakt zu treten. Auf Seiten der Hersteller gab es bisher nur sehr wenig bis gar keine Worte – wir wissen nicht ob es diese wirklich nicht bisher geschafft haben ihre Farben umzustellen oder es erst gar nicht probiert haben.

Schuldzuweisungen an dieser Stelle führen zu nichts und die Weiterentwicklung von Tattoo Farben um diese sicherer zu machen ist eigentlich nichts schlechtes. Jedoch nur dann wenn hierfür eindeutige Fakten vorliegen und genügend Zeit zur Umstellung eingeräumt wird. Veränderung ist wichtig aber sie benötigt einfach seine Zeit. Zeit um die wir in der Petition beten.

 

Insgesamt ist zu erwarten, dass nun unter dem jetzt sehr hoch herrschenden Druck, zeitnah weitere Alternativen auf den Markt kommen – schwarz/weiße, wie auch farbige.

Auch wenn die Situation sehr ernst ist, hilft es sehr wenig den fälschlichen Untergang der Tattoo Szene auf Social Media zu predigen und damit euren Kunden, potenziellen Lehrlingen und jedem Tattoo Interessierten ein falsches Bild zu vermitteln. Wir Tätowierer haben keinen individuellen Draht nach oben und sollten unsere Informationen auch nicht aus den Stories anderer Kollegen (die halt mal was gehört haben) beziehen sondern ausschließlich von den Menschen und Institutionen (z.B. der Savethepigments Seite, dem BVT oder dem ETP) die sich tiefer mit dem Thema befassen und auch die entsprechende Expertise besitzen.

Dieses Kunsthandwerk wird weiter bestand haben – heute und auch morgen – eben nur anders.

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